Am frühen Sonntagmorgen auf einer Landstraße nördlich von Cottbus. Ein PKW kommt von der Fahrbahn ab, überschlägt sich und bleibt weit abseits der Straße liegen. Zwei bewusstlose Personen sind schwer verletzt und benötigen dringend medizinische Hilfe. Obwohl niemand das Geschehen beobachtet eilen wenige Minuten später Feuerwehr und Rettungskräfte zum Notfallort und retten die beiden verunfallten.
Diese schnelle und zielgenaue Hilfe verdanken die Insassen dem automatischen Notrufsystem „eCall“ (Kurzform für “emergency call”, auch EU-eCall genannt), welcher ab dem 31.03.2018 europaweit verpflichtend in alle Fahrzeuge mit neuer Typgenehmigung (z.B. Golf 8) verbaut wird. Die Festlegung hierzu erfolgte bereis 2015 in einer EU-Verordnung (PDF). Weit vor 2018 müssen jedoch die Leitstellen des europäischen Notrufs 112 in die Lage versetzt werden, EU-eCalls entgegenzunehmen und auswerten zu können. Deshalb haben sich die fünf Regionalleitstellen des Landes Brandenburg, zu denen auch die Leitstelle Lausitz gehört, bereits 2016 dazu entschlossen die notwendige Technik gemeinsam zu beschaffen. So wurde im vergangen Jahr die bestehende technische Infrastruktur innerhalb der Leitstellen um modernste Hard- und Software erweitert, welche es den Regionalleitstellen ab sofort ermöglicht automatische EU-eCalls innerhalb ihres Einzugsbereichs zu verarbeiten. Zudem können die Regionalleitstellen die eingegangenen Einsatzdaten im Bedarfsfall untereinander austauschen und in Zukunft auch auf zusätzliche Daten von Drittanbietern (z.B. Opel OnStar, BMW Connect oder das Kraftfahrtbundesamt) zugreifen.
Wie wird ein EU-eCall ausgelöst?
Verursacht ein mit dem EU-eCall ausgestattetes Fahrzeug einen Unfall oder drückt ein Insasse den “SOS”-Knopf, so wird sofort ein Notruf zur nächstgelegenen 112-Leitstelle aufgebaut. In Südbrandenburg ist dies die Leitstelle Lausitz. Zusätzlich zum Sprachnotruf wird dabei durch das eCall-System des Fahrzeugs direkt im Sprachkanal ein sogenannter Minimaldatensatz (40 Byte) mit einsatzrelevanten Informationen übertragen. Hierzu gehören unter anderem:- der genaue Unfallort (die aktuelle Position, die letzten zwei Koordinaten von vor 10 und 20 Sekunden sowie die Fahrtrichtung),
- die Art der eCall-Auslösung (Unfall oder „SOS“-Knopf),
- die Rufnummer des Fahrzeugs für eventuelle Rückfragen,
- der Fahrzeugtyp (PKW, LKW, Krad etc.),
- die Antriebsart (Benzin, Diesel, LPG, Elektro etc.),
- die Fahrzeug-Identifikations-Nummer (VIN) sowie
- die Anzahl der angeschnallten Insassen.
Diese Daten werden noch vor Annahme des Notrufes technisch innerhalb der Leitstelle ausgewertet und dem Disponenten visuell dargestellt. Zusammen mit den Informationen aus dem Notrufgespräch werden dann sofort die notwendigen Hilfskräfte entsendet. Während die Rettungskräfte bereits ausrücken, kann der Leitstellendisponent weiterhin telefonischen Kontakt mit den Insassen halten und weitere Hilfeanweisungen geben.
EU-eCall oder TPS-eCall?
Wie bereits erwähnt gibt es auch Drittanbieter welche das eCall-System vermarkten können. Diese Systeme werden TPS-eCalls genannt (TPS steht für Third Party Service) und sind vom EU-eCall zu unterschieden. TPS-eCalls sind Zusatzdienste der Autohersteller und in der Regel kostenpflichtig. Während der EU-eCall überall mit höchster Priorität im Mobilfunknetz an den Notruf 112 geht, wird der TPS-eCall hingegen erst an ein Call-Center des Herstellers geleitet. Auch sind für TPS-eCalls zwingend Mobilfunkverträge notwendig, was beim EU-eCall nicht der Fall ist, da Notrufe per Gesetz kostenlos übermittelt werden müssen.
Die aktuell am Markt befindlichen eCall-Nachrüstsysteme sind TPS-eCalls und somit mit laufenden Kosten verbunden. Käufer eines Neuwagens können die TPS-Dienste auf Wunsch abschalten und statt dessen nur den EU-eCall aktiviert lassen.
Zudem ist der Datenschutz beim EU-eCall besser umgesetzt, da außer den Leitstellen kein Dritter Zugriff auf die übermittelten Daten des EU-eCalls hat. Der EU-eCall wird erst bei einem Unfall – oder mit auslösen der Notruf-Taste – automatisch durch den PKW online geschaltet. Erst danach wird eine Verbindung zum Mobilfunknetz hergestellt. Das aufzeichnen von weiteren Positionsdaten ist dabei ausdrücklich durch EU-Richtlinien untersagt. Kurze Zeit nach dem Auslösen schaltet sich der EU-eCall selbstständig wieder ab.
Beim TPS-eCall ist dies anders, da dieser durch die Fahrzeughersteller auch für andere Dienste wie z.B. Entertainmentangebote ausgeweitet werden kann und systembedingt dauerhaft online ist. Zudem kann die weitere Nutzung der Daten des TPS-eCalls schlechter kontrolliert werden, als dies beim EU-eCall der Fall ist.
Die nachfolgende Tabelle zeigt nochmals die Hauptunterschiede auf:
EU-eCall | TPS-eCall | |
---|---|---|
Dienste | nur Notrufe | kombiniert mit anderen zusätzlichen Diensten (z.B. Rückverfolgung, Service-Center-Anruf) |
Verpflichtend | ja (automatisch und manuell) | nein, optional |
Kommunikationsart | Sprache und Daten (MSD) in innerhalb des Sprachkanals | Sprache und Daten (MSD) sowie eigene Daten des Anbieters |
Bestimmungsziel | nächstgelegene örtlich zuständige 112-Rettungsleitstelle | privates Call-Center des Anbieters |
Daten | nur MSD gemäß des definierten Standards | MSD inkl. zusätzlicher Daten (nicht standardisiert) |
Priorität | Handhabung wie ein normaler Notruf mit den gleichen hohen Prioritäten im Telefonnetz | normaler Anruf ohne jegliche Priorität |
Nachvollziehbarkeit | nur wenn eine eCall-Nachricht ausgelöst wird | abhängig von der Vereinbarung zwischen Kunde und TPS |
Und in Zukunft?
Nach Schätzungen der Europäischen Union können durch das System jährlich bis zu 2.500 Verkehrstote vermieden werden. Diese gilt besonders dann, wenn den Prognosen zufolge bis 2035 eine flächendeckende Nutzung erreicht werden kann.
In den nächsten Jahren soll das System zudem auch auf weitere Transportmittel wie Motorräder, Busse und LKW (vor allem mit Gefahrstoffgütern) ausgeweitet werden.
Aktualisierungen:
- 31.03.2018: Klarstellung des TPS-eCalls
- 04.04.2018: Tabelle mit den Unterschieden zw. EU-eCall & TPS-eCall
- 11.02.2022: Link zum Youtube-Video vom WDR
Quellen:
- Beitragsbild: Infrastructure Harmonised eCall European Deployment (I_HeERO, www.iheero.eu)
- Diagrammdaten: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV, www.gdv.de)
- EENA: Committees Document „eCall and open issues, 2018 revision“ (PDF)